C. Ph. E. Bach: Versuch ... 2. Teil

XXXVIII. Capitel. Vom Recitativ. [§ 1-9]

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<313> §. 1. Die Recitative waren vor nicht gar langer Zeit von lauter Verwechselungen der Harmonie, der Auflösung und der Klanggeschlechter gleichsam vollgepfropfet. Man suchte, ohne mehrentheils die geringste Ursache zu haben, in diesen harmonischen Seltenheiten eine besondere Schönheit, und man hielte die natürlichen Abwechselungen der Harmonie für zu platt zum Recitativ. Dank sey es dem vernünftigen Geschmacke, vermöge dessen man heut zu Tage nur sehr selten, und mit zureichendem Grunde in den Recitativen harmonische Sonderheiten anbringet. [...]

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<315> §. 4. Die Geschwindigkeit und Langsamkeit des Harpeggio bey der Begleitung hänget von der Zeitmaasse und dem Inhalte des Recitatives ab. Je langsamer und affectuöser das letztere ist, desto langsamer harpeggiert man. Die Recitative mit aushaltenden Instrumenten vertragen das Harpeggio besonders wohl. So bald aber die Begleitung, statt der der Aushaltungen, kurze und abgestossene Noten krieget, sogleich schlägt auch der Clavierist die Harmonien, ohne Harpeggio, kurz und trotzig mit vollen Händen an [...]

<316> §. 5. Bei einem Recitative mit aushaltenden begleitenden Instrumenten bleibet man auf der Orgel blos mit der Grundnote im Pedale liegen, indem man die Harmonie bald nach dem Anschlage mit den Händen aufhebet. Die Orgeln sind selten rein gestimmet, und folglich würde die Harmonie zu den erwehnten Recitativen, welche oft chromatisch ist, sehr widrig klingen, und sich mit der Begleitung der übrigen Instrumente gar nicht vertragen. Man hat oft zu thun, ein Orchester, welches nicht das schlechteste ist, in diesem Falle reinklingend zu machen. Das Harpeggio fällt überhaupt auf dem Pfeifwerke weg. Ausser der gebrochnen Harmonie brauchet man auch auf den übrigen Clavierinstrumenten zu der Begleitung der Recitative keine andere Manier und Zierlichkeit.

§. 6. [...]

<317> §. 7. Wenn der Sänger nicht recht tonfeste ist, so thut man besser, daß man die Harmonie zugleich einigemal hintereinander anschläget, als wenn man einzelne Intervallen angiebet. Bey Recitativen kommt es hauptsächlich auf die Richtigkeit der Harmonie an, und man muß nicht allezeit fordern, daß der Sänger, zuumal bey gleichgültigen Stellen, just die vorgeschriebenen Noten, und keine anderen singen soll. Es ist genug, wenn er in der gehörigen Harmonie declamirt. [...]

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