<349> Dieses Wort hat zwey verschiedene Bedeutungen;
So wie die Instrumentalmusik überhaupt Nachahmung des Gesanges ist, so ist insbesondere das Concert eine Nachahmung des Sologesanges mit vollstimmiger Begleitung, oder mit andern Worten, eine Nachahmung der Arie. Der Zweck der Arie sollte daher auch jederzeit den Zweck des Concertes bestimmen, das ist, der Concertspieler sollte eine bestimmte Empfindung nach seiner individuellen Empfindungsart ausdrücken. Statt dessen aber haben sich verschiedene zufällige Umstände vereint, dieses Tonstück sehr oft zu einem Produkte der Taschenspielerkunst, oder zu einer Jagd nach mechanischen Schwierigkeiten, zu erniedrigen, wobey der Wettstreit, oder das Concertare, wovon es den Namen erhalten hat, darauf angelegt zu seyn scheint, zu versuchen, welcher von den concertirenden Tonkünstlern mit unverrenkten Fingern oder unzersprengter Lunge davon komme. - Der mit dem Vortrage einer Concertstimme verbundene Begriff, sich hören lassen, dem man unvermerkt einen falschen Sinn untergelegt hat; - der Beyfall des größern Haufens, der durch mechanische Fertigkeit leichter, als durch Rührung des Herzens zu erlangen ist; oder vielmehr der fatale Umstand, daß jedes Glied dieses Haufens, wenn es bloß auf Beurtheilung mechanischer Fertigkeit ankömmt, sich als Kunstkenner behaupten kann, und eben deswegen <352> so geneigt ist, dem Künstler, der die mehresten Kunstsprünge macht, den mehresten Beyfall zuzuklatschen, als wodurch auf Seiten der Concertspieler der Hang zu mechanischen Schwierigkeiten genährt wird; - solche, und dergleichen zufällige Umstände haben veranlaßt, daß mit dem Concertspielen seit geraumer Zeit viel Unfug getrieben wird, so daß dieser Mißbrauch sogar als ein Hinderniß an der allgemeinern Verbreitung des guten Geschmackes in der Musik betrachtet werden muß.
Concertspieler, die sich mechanische Fertigkeit zum einzigen und höchsten Ziele ihrer Laufbahn gesteckt haben, begnügen sich gemeiniglich nicht an den Schwierigkeiten, die in den gangbaren Concerten für ihr Instrument enthalten sind; sondern man gehet, um den Nachtheil für die Kunst zu vollenden, noch einen Schritt weiter. Jeder bildet sich ein seiner Organisation besonders angemessenes Hokuspokus, und sucht es, ohne die dazu nöthigen melodischen und harmonischen Kenntnisse zu besitzen, an den Mann zu bringen; getrost nimmt er seinen Brief, setzet sich, und schreibt flugs - ein halb Dutzend Concertstimmen, die sodann ein verunglückter Tonsetzer ausflicken, und mit Ritornellen und Begleitung versehen muß. Nun jagen einander ganze Seiten voll Passagen, deren eine immer halsbrechender ist, als die andere; - nun geht es an ein abwechselndes Forteilen und Aufhalten im Zeitmaaße, daß die Begleiter oft nicht wissen, in welchem Takttheile sie ihren Führer suchen sollen, und sich genöthigt sehen, sich mit dem in der verbesserten Auflage des Musik-Catechismus enthaltenen Spruches trösten zu lassen, daß wahrer Ausdruck nicht immer innerhalb der Grenzen des Taktes liege, sondern oft bald mehr Feuer, bald mehr Mäßigung im Vortrage verlange. - So wird allmählig Taktlosigkeit zur Tagesordnung; Seiltänzerkunst wird zum Tongemälde; der Vortrag des Cantabile oder Adagio , woran ohnehin so viele scheitern, wird immer mehr vernachläßigt, u.s.w. - Und siehe da! der Geschmack der Zeit <353> (von dem viele behaupten wollen, daß er zwar zarter, aber dabey sehr kränklicher Natur sey,) drückt, des Dinges gewohnt, in seinem Sorgestuhle die Augen zu; - läßt es sich, als ein guter Hausvater, der den Hausfrieden liebt, gefallen, wenn auch mit unter die Natur der Sache umgekehrt, und das Mittel zum Zwecke erhoben wird. - Um sich darüber den Ausbruch einer Erröthung zu ersparen, schilt er ein wenig auf die Vorfahren, die sich dieses Fehlers in Rücksicht auf den Gebrauch der Harmonie schuldig machten; murrt noch etwas zwischen den Zähnen durch, von Trockenheit älterer Kunstprodukte dieser Art, und beginnt mit dem Gedanken an den Splitter im Auge seines Vorfahren sein Mittagsschläfchen, ohne den Druck des Balkens in seinem Auge zu fühlen.
So grell auch die Farben dieses Gemäldes aufgetragen zu seyn scheinen, so sind es dennoch die wirklichen Lokalfarben, die an den natürlichen Gegenständen von denen sie entlehnt sind, sogar durch einen Tressenmantel der christllichen Liebe durchschimmern. Kurz, es ist nicht zu verhehlen, wie sehr das seit geraumer Zeit so überhäufte Concertspielen, wenn es dabey bloß auf das Auskramen mechanischer Fertigkeit angelegt ist, der Tonkunst, und der allgemeinern Verbreitung des guten Geschmackes in derselben, nachtheilig wird.
Kein Wunder daher, wenn Männer von feinem Geschmacke, durch den Unfug verleitet, der mit dem Concerte getrieben wird, es so wie Sulzer zu einer bloßen Uebung für Setzer und Spieler, und zu einer auf weiter nichts abzielenden Ergötzung des Ohres, herabsetzen. So wahr diese Beschreibung ist, wenn ein Concert die vorhin gerügten Fehler hat, so wenig folgt daraus, daß die Form des Concertes weniger, als die Form eines andern Tonstückes, zu einem leidenschaftlichen <354> Tongemälde geeignet sey.1 Wenn man bey einem Concerte die Ritornelle wegrechnet, die übrigens diesem Tonstücke, eben so wie der Arie, mehr Vortheil als Schaden gewähren können; was bleibt alsdenn unter der Form der Sonate, und unter der des Concertes für ein wesentlicher Unterschied, der in der Sonate den Ausdruck der Empfindungen begünstigen, im Concerte aber demselben nachtheilig seyn könnte? Ich habe schon anderswo [FN: Anleitung zur Composition, Th. 3, S. 331] bemerkt, daß ein gut gearbeitetes Concert, in welchem die Begleitung des ganzen Orchesters nicht bloß vorhanden ist, um die zwischen der Oberstimme und dem Basse befindlichen Intervallen der zum Grunde liegenden Akkorde anzuschlagen, einer leidenschaftlichen Unterhaltung des Concertspielers ihm begleitenden Orchester gleiche; diesem theilt der Concertspieler gleichsam seine Empfindungen mit; dieses winkt ihm durch kurze eingestreute Nachahmungen bald seinen Beyfall zu, bald bejahet es seinen Ausdruck; bald sucht es im Allegro seine freudigen Empfindungen noch mehr anzufachen; bald bedauert, bald tröstet es ihn in dem Adagio. Kurz, das Concert hat viele Aehnlichkeit mit der Tragödie der Alten, wo der Schauspieler seine Empfindungen nicht gegen das Parterre, sondern gegen den Chor äußerte, und dieser hingegen auf das genaueste in die Handlung verflochten, und zugleich berechtigt war, an dem Ausdrucke der Empfindung Antheil zu haben. Man vollende sich dieses scizzirte Gemälde und vergleiche damit Mozarts Meisterwerke in diesem Fache der Kunstprodukte, so hat man eine genaue Beschreibung der Eigenschaften eines guten Concertes.
Die Form dieses Tonstückes bestehet kürzlich darinne, daß dem Vortrage der Solostimme ein Ritornell als Einleitung vorhergehet, in welchem der Zuhörer auf den <355> Inhalt der Solostimme aufmerksam gemacht wird, und in welchem die melodischen Haupttheile des ganzen Satzes, jedoch gemeiniglich in einer andern und enger zusammengeschobenen Verbindung, vorgetragen werden, als es hernach in der Concertstimme geschieht. Mit diesen melodischen Haupttheilen sind gewöhnlich solche dazu passende Theile verbunden, die dem vollstimmigen Vortrage eines ganzen Orchesters entsprechen. Diese machen zusammen im Ritornelle eine ausgeführte Periode aus, die in ihrem Laufe eine oder zwey verwandte Tonarten berührt, und in dem Haupttone geschlossen wird. Die Concertstimme fängt das erste Solo in der Haupttonart an, wendet sich aber zeitig nach der Tonart der Quinte (oder wenn eine weiche Tonart zum Grunde liegt, nach der Tonart der Terz) hin, in welcher es schließt. Mit der Schlußnote dieses ersten Solo beginnt das zweyte Ritornell, welches in eben dieser Tonart geschlossen wird. Das zweyte Solo hebt mit Schlußnote dieses Ritornells an, und hat die Freyheit sich unter den übrigen verwandten Tonarten hinzuwenden, in welche es will; die letzte Hälfte desselben wird jedoch in der Haupttonart durchgeführt, in welcher die melodischen Haupttheile des ganzen Satzes kürzlich wiederholt werden. Nach der Finalcadenz desselben machen die begleitenden Instrumente noch ein kurzes Ritornell in der Grundtonart. Ist das Adagio des Concertes eine Romanze, oder das letzte Allegro ein Rondo, so richtet es sich nach der besondern Form dieser Tonstücke, die man in ihren besondern Artikeln findet.
Sulzer sagt nemlich im Artikel Sonate:
"Die Form eines Concertes scheint mehr zur Absicht zu haben, einem geschickten Spieler Gelegenheit zu geben, sich in Begleitung vieler Instrumente hören zu lassen, als zur Schilderung der Leidenschaften angewendet zu werden."