Koch: Musikalisches Lexikon

Einschnitt.

<521> Mit diesem Kunstworte werden diejenigen Ruhepunkte <|> der Melodie bezeichnet, die noch keinen vollständigen Sinn begrenzen. Die Melodie eines Satzes, <523> der einen vollständigen Sinn enthält, und den man einen Absatz nennet, kann so genau zusammenhängen, daß das Gefühl keinen <|> Ruhepunkt in demselben entdeckt; von dieser Beschaffenheit ist z.B. folgender Satz:

Notenbeispiel Sp. 523/524, Nr. 1

<|> Ganz anders verhält es sich in folgenden <|> Sätzen:

Notenbeispiel Sp. 523/524, Nr. 2

<|> Hier überzeugt uns das Gefühl, daß nicht allein bey den mit § bezeichneten Stellen merkliche Ruhepunkte enthalten sind, sondern daß auch, wenn wir einen solchen Satz nur bis zu diesem Zeichen singen oder spielen, dem Satze noch etwas an seiner Vollständigkeit mangelt, und daß der Sinn desselben nicht eher völlig gefaßt werden kann, als bis das nach dem Zeichen § folgende <|> Glied damit verbunden wird. Diese in den vollständigen Sätzen enthaltenen noch unvollständigen Glieder, sie mögen sich nun, so wie in den angeführten Beyspielen, durch nichts Aeußerliches kennbar machen, oder sie mögen, so wie in den folgenden Sätzen, durch kleine Pausen getrennt seyn, sind es, die man Einschnitte nennet.1

Notenbeispiel Sp. 523/524, Nr. 3

<525> In diesen Beyspielen wird der Satz durch den Einschnitt in zwey Glieder getheilt, wovon jedes für sich betrachtet unvollständig ist. Es giebt aber auch Sätze, in welchen ein an sich selbst noch unvollständiges <|> Glied durch melodische Ruhepunkte in noch kleinere Glieder abgetheilt wird, wie in den beyden folgenden Sätzen; diese kleinern Glieder werden ebenfalls Einschnitte genannt; z.B.

Notenbeispiel Sp. 525/526, Nr. 1

<525> Alles dasjenige, was in dem Artikel Absatz sowohl in Ansehung des Rhythmus, als auch in Ansehung der Cäsurnoten, und der verschiedenen Verzierungen derselben, und von ihrer Folge, bemerkt worden ist, gilt auch bey den vorhergehenden größern Einschnitten. Es bleiben daher nur noch einige Bemerkungen übrig, die den Einschnitt, als ein noch unvollständiges Glied <|> des Satzes, insbesondere betreffen: nemlich

  1. Auf der Grundlage des harmonischen Dreyklanges der Unterdominante, auf welcher ein Satz nicht wohl seine Vollständigkeit erreichen, das ist, auf welcher eigentlich kein förmlicher Absatz gemacht werden kann, können die Einschnitte als unvollständige Glieder statt finden, z.B.
    Notenbeispiel Sp. 525/526, Nr. 2
  2. <525> Weil der Einschnitt ein noch unvollständiges Glied eines Satzes ist, so kann die Cäsur desselben auch auf einem dissonirenden <|> Akkorde gemacht werden. Dieser dissonirende Akkord ist gemeiniglich der Septimenakkord auf der Dominante, z.B.
    Notenbeispiel Sp. 525/526, Nr. 3
  3. <527> Bey den Cäsuren der Absätze bedient man sich in der Grundstimme gewöhnlich des Grundtones des dabey zum Grunde liegenden Dreyklanges; bey den Einschnitten hingegen kann man <|> sich auch der Umkehrung des Dreyklanges zum Sextenakkorde bedienen, wenn die Cäsur des Einschnittes nicht aus der Terz des Dreyklanges bestehet; z.B.
    Notenbeispiel Sp. 527/528, Nr. 1

<|> Weitläuftigern Unterricht über die Behandlung der Einschnitte in dem Periodenbaue findet man in Riepels Anfangsgründen zur musikalischen Setzkunst, und im zweyten und dritten Theile meiner Anleitung zur Composition.

Fußnoten:

Fußnote 1 (Sp. 523/524):

Einige Tonlehrer verstehen unter dem Einschnitt den ganzen vollständigen Satz, und bezeichnen die kleinern Glieder mit dem Ausdrucke Cäsur. In den Artikeln Absatz und Cäsur ist schon die Ursache angezeigt worden, warum hier das Wort § Einschnitt in der oben beschriebenen Bedeutung gebraucht wird.

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